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Weiß ich nicht», erwiderte ich.




20 Er richtete sich auf. «Das weißt du nicht? Du hast doch ihre Adresse aufgeschrieben! Ich habe es selbst gesehen.»

21 «Habe den Zettel verloren.»

22 «Verloren!» Er griff sich mit beiden Händen in seinen gelben Haarwald. «Und dazu habe ich damals den Binding eine Stunde draußen beschäftigt! Verloren! Na, vielleicht weiß Otto sie noch.»

23 «Otto weiß sie auch nicht.»

24 Er sah mich an. «Jammervoller Dilettant! Um so schlimmer! Weißt du denn nicht, dass das ein fabelhaftes Mädchen war? Herrgott!» Er starrte zum Himmel. «Läuft uns endlich schon mal was Richtiges über den Weg, dann verliert so ein Trauerbolzen die Adresse!»

25 «So großartig fand ich sie gar nicht.»

26 «Weil du ein Esel bist», erwiderte Lenz, «ein Trottel, der nichts kennt, was über das Niveau der Huren aus dem Café International hinausgeht! Du Klavierspieler, du! Ich sage dir nochmals: Es war ein Glücksfall, ein besonderer Glücksfall, dieses Mädchen! Du hast natürlich keine Ahnung von so was! Hast du dir die Augen angesehen? Natürlich nicht - du hast dein Schnapsglas angesehen –»

Halt den Schnabel!» unterbrach ich ihn, denn mit dem Schnapsglas traf er in eine offene Wunde.

28 «Und die Hände», fuhr er fort, ohne mich zu beachten, «schmale, lange Hände wie eine Mulattin, davon versteht Gottfried etwas, das kannst du glauben! Heiliger Moses! Endlich einmal ein Mädchen, wie es sein muss, schön, natürlich und, was das wichtigste ist, mit Atmosphäre» – er unterbrach sich –, «weißt du überhaupt, was das ist, Atmosphäre?»

29 «Luft, die man in einen Reifen pumpt», erklärte ich mürrisch. «Natürlich», sagte er mitleidig und verachtungsvoll, «Luft, natürlich! Atmosphäre, Aura, Strahlung, Wärme, Geheimnis – das, was die Schönheit erst beseelt und lebendig macht –, aber was rede ich - deine Atmosphäre ist der Rumdunst –»

Hör jetzt auf oder ich lasse was auf deinen Schädel fallen», knurrte ich.

Aber Gottfried redete weiter, und ich tat ihm nichts. Er hatte ja keine Ahnung davon, was passiert war und dass jedes Wort von ihm mich mächtig traf. Besonders jedes über das Trinken. Ich war schon drüber weg gewesen und hatte mich ganz gut getröstet; jetzt aber wühlte er alles wieder auf. Er lobte und lobte das Mädchen, und mir wurde bald zumute, als hätte ich wirklich etwas Besonderes unwiederbringlich verloren.

 

1 Ärgerlich (сердитый, расстроенный; sich ärgern – сердиться) ging im um sechs Uhr zum Café International. Das war meine Zuflucht (убежище, прибежище; flüchten – бежать, спасаться бегством; die Flucht – побег); Lenz hatte es mir ja auch bestätigt (подтвердил). Zu meinem Erstaunen (к моему удивлению) herrschte ein Riesenbetrieb (царило большое оживление, была большая суматоха; der Riese – великан; der Betrieb – оживление, обилие народу; treiben – гнать), als ich eintrat. Auf der Theke standen Torten und Napfkuchen (пироги: der Napf – миска, чаша, горшок; der Kuchen – пирог; der Napfkuchen – баба /кул./), und der plattfüßige Alois (плоскостопый) rannte mit einem Tablett (с подносом: das Tablett) voll Kaffeegeschirr (уставленным «кофейной посудой»: das Geschirr) klappernd (бренча, звякая) ins Hinterzimmer. Ich blieb stehen. Kaffee, kannenweise (целыми кофейниками: die Kanne – кувшин; кофейник; заварочный чайник)? Da musste ja ein ganzer Verein (тут, должно быть, целое общество, клуб) schwer betrunken (пьяные) unter den Tischen liegen.

2 Aber der Wirt klärte mich auf (просветил меня = объяснил мне). Heute war im Hinterzimmer die Abschiedsfeier (прощальный праздник, проводы: der Abschied – прощание + die Feier – праздник; feiern – праздновать, отмечать) für Rosas Freundin Lilly. Ich schlug mich vor den Kopf (хлопнул себя по лбу). Natürlich, dazu war ich ja eingeladen! Als einziger Mann sogar, wie Rosa bedeutungsvoll (многозначительно; die Bedeutung – значение) gesagt hatte – denn der schwule Kiki (педераст: schwul – гомосексуальный), der auch da war, zählte nicht. Ich ging rasch (быстро) noch einmal los (вышел) und besorgte einen Strauß Blumen (купил, приобрел букет цветов), eine Ananas, eine Kinderklapper (погремушку; klappern – громыхать, дребезжать) und eine Tafel Schokolade.

3 Rosa empfing mich (встретила: empfangen – принимать, встречать) mit dem Lächeln (с улыбкой) einer großen Dame. Sie trug ein schwarzes, ausgeschnittenes Kleid (декольтированное; ausschneiden – вырезать) und thronte oben am Tisch. Ihre Goldzähne leuchteten (сверкали). Ich erkundigte mich (осведомился), wie es ihrer Kleinen ginge, und überreichte (передал; reichen – подавать, протягивать) für sie die Zelluloidklapper und die Schokolade. Rosa strahlte (сияла).

4 Ich wandte mich (обратился: sich wenden) mit der Ananas und den Blumen an Lilly. «Meine herzlichsten Glückwünsche (мои самые сердечные поздравления = от души желаю счастья)!»

5 «Er ist und bleibt ein Kavalier!» sagte Rosa. «Und nun komm, Robby, setz dich zwischen uns beide.»

6 Lilly war die beste Freundin Rosas. Sie hatte eine glänzende Karriere hinter sich (сделала: «имела за собой» блестящую карьеру). Sie war das gewesen (была тем), was die unerreichbare Sehnsucht (что /является/ недостижимым /страстным/ желанием; erreichen – достичь) jeder kleinen Hure ist: eine Hotelfrau. Eine Hotelfrau geht nicht auf den Straßenstrich (на панель) – sie wohnt im Hotel und macht da ihre Bekanntschaften (заводит знакомства). Fast alle Huren kommen nicht dazu (не достигают) – sie haben nicht genug Garderobe und auch nie genug Geld, um einmal eine Zeitlang (некоторое время) auf Freier (клиента; der Freier – жених /уст./; клиент проститутки) warten zu können. Lilly hatte zwar nur in Provinzhotels gelebt; aber sie hatte doch im Laufe der Jahre (в течение ряда лет) fast viertausend Mark gespart (сэкономила, накопила). Jetzt wollte sie heiraten. Ihr künftiger Mann (будущий муж) betrieb ein kleines Installationsgeschäft (владел маленькой ремонтной мастерской: etwas betreiben – заниматься чем-либо). Er wusste alles von ihr, und es war ihm gleichgültig (безразлично). Für die Zukunft konnte er unbesorgt sein (за будущее мог не беспокоиться; besorgt – озабоченный; die Sorge – забота, беспокойство); wenn eines dieser Mädchen heiratete, war es zuverlässig (была надежна, на нее можно было положиться; sich auf jemanden verlassen – положиться на кого-либо; verlassen – оставлять, покидать). Sie kannten den Rummel (они уже все испытали: der Rummel – суматоха; ярмарка, место гуляний) und hatten genug davon. Sie waren treu (верны).

7 Lilly sollte Montag heiraten. Heute gab Rosa ihr einen Abschiedskaffee. Alle waren dazu erschienen (появились: erscheinen), um noch einmal mit Lilly zusammen zu sein. Nach ihrer Hochzeit konnte sie nicht mehr hierher kommen.

8 Rosa schenkte mir eine Tasse Kaffee ein. Alois trabte mit einem riesigen Napfkuchen herbei (подбежал: traben – идти рысью), der gespickt war mit Rosinen (кторый был утыкан изюмом; spicken – шпиговать; die Rosine – изюм), Mandeln und grüner Sukkade (миндалем и зелеными цукатами). Sie legte mir ein mächtiges Stück davon auf. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Kennerisch (с видом знатока: der Kenner) probierte ich einen Bissen (кусок; beißen – кусать) und markierte gewaltiges Erstaunen (изобразил величайшее удивление; gewaltig – огромный; очень сильный; die Gewalt – сила, насилие).

9 «Donnerwetter (черт возьми), der ist aber bestimmt nicht im Laden gekauft –»

10 «Selbstgebacken (сама пекла; gebacken – испеченный: backen – buk – gebacken)», sagte Rosa glücklich. Sie war eine fabelhafte Köchin und hatte gern, wenn man es anerkannte (признавали). Besonders in Gulasch und Napfkuchen war sie unerreicht (недостижима = непревзойденна). Sie war nicht umsonst eine Böhmin (не случайно: не напрасно, не даром» была чешкой; Böhmen – Чехия).

11 Ich blickte mich um. Da saßen sie rings um den Tisch, die Arbeiterinnen im Weinberge Gottes (на винограднике Господа Бога), die untrüglichen Menschenkennerinnen (безошибочно знающие людей; trügen – вводить в заблуждение), die Soldaten der Liebe – Wally, die Schöne, der man neulich bei einer nächtlichen Autofahrt den Weißfuchs gestohlen hatte (у которой недавно украли горжетку из белого песца); – Lina mit dem Holzbein (с деревянной ногой: das Holz + der Bein), die immer noch Liebhaber fand (любовников); – Fritzi, das Luder (стерва; собственно: падаль /в качестве приманки на охоте/), die den plattfüßigen Alois liebte, obschon sie längst (хотя она уже давно) eine eigene Wohnung hätte haben können und einen Freund, der sie aushielt (содержал бы; halten – держать); – Margot mit den roten Backen (с румяными щеками: die Backe), die immer in Dienstmädchentracht ging (в одеянии горничной; der Dienst – служба; dienen – служить; die Tracht – /национальный/ костюм) und damit elegante Freier fing (ловила: fangen); – Marion, die jüngste, strahlend und unbedenklich (бездумная, ни о чем не волнующаяся); – Kiki, der als Mann nicht mitzählte, weil er Frauenkleider trug und geschminkt war (накрашен); – Mimi, das arme Biest (бедняжка: das Biest – тварь /надоедливое животное, насекомое/), dem das Laufen (которой ходьба; laufen – ходить пешком) mit seinen fünfundvierzig Jahren und den Krampfadern (со вздувшимися венами: der Krampf – судорога, спазм + die Ader – /кровеносный/ сосуд, вена) immer schwerer fiel (все труднее давалось: schwer fallen); – ein paar Barfrauen und Tischdamen, die ich nicht kannte; – und endlich, als zweiter Ehrengast (почетный гость; die Ehre – честь), klein, grau und verschrumpelt (сморщенная) wie ein Winterapfel (как мороженное яблоко; schrumpfen – сморщиваться, сокращаться), Muttchen (“мамаша”), die Vertraute aller (поверенная, наперсница всех; vertraut – близкий, хорошо знаокмый, интимный; vertrauen – доверять), Trost und Stütze nächtlicher Wanderer (утешение и опора ночных странников: der Trost; die Stütze; stützen – подпирать), Muttchen mit dem Wurstkessel (с котлом сосисек: die Wurst; der Kessel) von der Ecke Nikolaistraße, fliegendes Büfett (передвижной буфет) und Wechselbüro (разменная касса; wechseln – менять) nachts, die neben ihren Frankfurter Würstchen auch noch heimlich Zigaretten und Gummiartikel (презервативы: der Gummi – резина + der Artikel – товар, вид товара) verkaufte und angepumpt werden konnte (и у нее можно одолжить денег; pumpen – качать /насосом/; одалживать, брать взаймы /деньги/).

12 Ich wusste, was sich schickte (что приличествует, как нужно себя держать). Kein Wort von Geschäft, keine unzarte Andeutung (грубый намек; zart – нежный, мягкий) heute – vergessen die wunderbare Leistung Rosas (удивительное достижение), die ihr den Beinamen das «Eiserne Pferd» eingetragen hatte (которое принесло ей кличку “Железная лошадь”; – vergessen Fritzis Unterhaltungen (беседы; sich unterhalten – беседовать) mit dem Viehhändler (с торговцем скота: das Vieh + der Händler) Stefan Grigoleit über die Liebe; – vergessen Kikis Tänze um den Salzbrezelkorb (танцы вокруг корзины с солеными кренделями: der Tanz – танец; der Korb – корзина; das Salz – соль; die Brezel – крендель) im Morgengrauen (на рассвете). Die Unterhaltung hier konnte jedem Damenkränzchen Ehre machen.

13 «Alles schon vorbereitet, Lilly?» fragte ich.

14 Sie nickte. «Die Aussteuer (приданое) hatte ich ja schon lange.»

15 «Wunderbare Aussteuer», sagte Rosa. «Fehlt aber auch nicht (не недостает даже) ein Spitzendeckchen (кружевного покрывальца: die Spitze – кружево + die Decke – одеяло).»

16 «Wozu braucht man denn Spitzendeckchen?» fragte ich.

17 «Na hör mal, Robby!» Rosa sah mich so vorwurfsvoll an (с таким упреком: der Vorwurf; jemandem etwas vorwerfen – упрекнуть кого-либо в чем-либо), dass ich rasch erklärte, ich wüsste es schon. Spitzendecken – gehäkelte (вязанные вручную; der Haken – крючок) Möbelschoner (чехлы для мебели; schonen – беречь, щадить), natürlich, sie waren das Symbol kleinbürgerlicher Behaglichkeit (мещанского уюта; behaglich – уютный, приятный, спокойный), das geheiligte Symbol der Ehe (священный, освященный символ брака; heilig – святой), des verlorenen Paradies. Sie waren ja alle keine Huren aus Temperament; sie waren Gescheiterte der bürgerlichen Existenz (жертвы крушения обывательского существования; scheitern – не удаваться, терпеть неудачу). Ihre geheime Sehnsucht (тайное желание) war das Ehebett; nicht das Laster (а не порок). Aber das hätten sie nie eingestanden (никогда бы в этом не признались).

18 Ich setzte mich ans Klavier. Rosa hatte schon darauf gewartet. Sie liebte Musik wie alle diese Mädchen. Ich spielte zum Abschied noch einmal alle ihre und Lillys Lieblingsschlager. Zu Anfang das «Gebet einer Jungfrau (молитва девы; beten – молиться)». Der Titel (название) war zwar nicht ganz angebracht (уместное) für das Lokal (для этого кафе), aber es war auch nur ein Bravourstück mit viel Geklimper (с множеством бренчащих аккордов; klimpern – бренчать). Dann folgte «Der Vöglein Abendlied», das «Alpenglühen (заря в Альпах; glühen – пылать)», «Wenn die Liebe stirbt», «Die Millionen des Harlekin» und zum Schluss (в заключение: der Schluss; schließen – закрывать) «Nach der Heimat (на родину) möcht' ich wieder». Das liebte Rosa besonders. Huren sind ja das Härteste und Sentimentalste zugleich (самое суровое и самое сентиментальное одновременно; hart – жесткий). Alle sangen es mit. Der schwule Kiki die zweite Stimme.

19 Lilly brach auf (начала собираться: aufbrechen – отправляться /в дорогу/). Sie musste ihren Bräutigam abholen (зайти за женихом). Rosa küsste sie herzhaft ab (сердечно расцеловала). «Mach's gut (будь здорова, прощай), Lilly. Lass dich nicht unterkriegen (не дай себя подмять = держись молодцом)!»

20 Beladen mit Geschenken (нагруженная подарками: das Geschenk) ging sie davon (ушла). Weiß der Henker (и, будь я проклят; der Henker – палач), sie hatte ein ganz anderes Gesicht als früher. Die harten Linien, die sich bei jedem eingraben (врезаются; graben – рыть), der mit der menschlichen Gemeinheit zu tun hat (кто имеет дело, сталкивается с человеческой подлостью; gemein – подлый), waren weggewischt (стерты /прочь/; wischen – стирать, вытирать); das Gesicht war weicher geworden (лицо стало мягче), es hatte wahrhaftig (воистину) wieder etwas von einem jungen Mädchen.

21 Wir standen vor der Tür und winkten Lilly nach (махали вслед). Mimi fing plötzlich an zu heulen (вдруг начала реветь: «выть»). Sie war selbst mal verheiratet gewesen. Ihr Mann war im Kriege an Lungenentzündung gestorben (умер от воспаления легких: die Lunge – легкое + die Entzündung – воспаление; zünden – зажечь, запалить). Wäre er gefallen (если бы он пал /на поле боя/), hätte sie eine kleine Rente gehabt und nicht auf die Straße müssen. Rosa klopfte ihr auf den Rücken (постучала по спине). «Na, Mimi, nur nicht weich werden! Komm, wir trinken noch einen Schluck Kaffee (глоток кофе; schlucken – глотать).»

22 Die ganze Gesellschaft kehrte in das dunkle International zurück, wie eine Schar Hühner in den Stall (как стая куриц в курятник: das Huhn). Aber es kam keine rechte Stimmung mehr auf (но прежнее: «настоящее» настроение больше не возникало). «Spiel uns noch einen zum Schluss, Robby!» sagte Rosa. «Zum Aufmuntern (для бодрости: «ободрения»; munter – бодрый; aufmuntern – ободрять, подбадривать).»

23 «Schön», erwiderte ich. «Wollen wir mal den 'Alten Kameradenmarsch' 'runterhauen (отхватим-ка; hauen – рубить).»

24 Dann verabschiedete ich mich auch (распрощался). Rosa steckte mir noch ein Paket Kuchen zu (сунула). Ich schenkte es Muttchens Sohn, der draußen bereits den abendlichen Wurstkessel aufbaute (устанавливал).

 

Auml;rgerlich ging im um sechs Uhr zum Café International. Das war meine Zuflucht; Lenz hatte es mir ja auch bestätigt. Zu meinem Erstaunen herrschte ein Riesenbetrieb, als ich eintrat. Auf der Theke standen Torten und Napfkuchen, und der plattfüßige Alois rannte mit einem Tablett voll Kaffeegeschirr klappernd ins Hinterzimmer. Ich blieb stehen. Kaffee, kannenweise? Da musste ja ein ganzer Verein schwer betrunken unter den Tischen liegen.

Aber der Wirt klärte mich auf. Heute war im Hinterzimmer die Abschiedsfeier für Rosas Freundin Lilly. Ich schlug mich vor den Kopf. Natürlich, dazu war ich ja eingeladen! Als einziger Mann sogar, wie Rosa bedeutungsvoll gesagt hatte – denn der schwule Kiki, der auch da war, zählte nicht. Ich ging rasch noch einmal los und besorgte einen Strauß Blumen, eine Ananas, eine Kinderklapper und eine Tafel Schokolade.

Rosa empfing mich mit dem Lächeln einer großen Dame. Sie trug ein schwarzes, ausgeschnittenes Kleid und thronte oben am Tisch. Ihre Goldzähne leuchteten. Ich erkundigte mich, wie es ihrer Kleinen ginge, und überreichte für sie die Zelluloidklapper und die Schokolade. Rosa strahlte.

4 Ich wandte mich mit der Ananas und den Blumen an Lilly. «Meine herzlichsten Glückwünsche!»

5 «Er ist und bleibt ein Kavalier!» sagte Rosa. «Und nun komm, Robby, setz dich zwischen uns beide.»

Lilly war die beste Freundin Rosas. Sie hatte eine glänzende Karriere hinter sich. Sie war das gewesen, was die unerreichbare Sehnsucht jeder kleinen Hure ist: eine Hotelfrau. Eine Hotelfrau geht nicht auf den Straßenstrich – sie wohnt im Hotel und macht da ihre Bekanntschaften. Fast alle Huren kommen nicht dazu – sie haben nicht genug Garderobe und auch nie genug Geld, um einmal eine Zeitlang auf Freier warten zu können. Lilly hatte zwar nur in Provinzhotels gelebt; aber sie hatte doch im Laufe der Jahre fast viertausend Mark gespart. Jetzt wollte sie heiraten. Ihr künftiger Mann betrieb ein kleines Installationsgeschäft. Er wusste alles von ihr, und es war ihm gleichgültig. Für die Zukunft konnte er unbesorgt sein; wenn eines dieser Mädchen heiratete, war es zuverlässig. Sie kannten den Rummel und hatten genug davon. Sie waren treu.

Lilly sollte Montag heiraten. Heute gab Rosa ihr einen Abschiedskaffee. Alle waren dazu erschienen, um noch einmal mit Lilly zusammen zu sein. Nach ihrer Hochzeit konnte sie nicht mehr hierher kommen.

Rosa schenkte mir eine Tasse Kaffee ein. Alois trabte mit einem riesigen Napfkuchen herbei, der gespickt war mit Rosinen, Mandeln und grüner Sukkade. Sie legte mir ein mächtiges Stück davon auf. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Kennerisch probierte ich einen Bissen und markierte gewaltiges Erstaunen.

9 «Donnerwetter, der ist aber bestimmt nicht im Laden gekauft –»

Selbstgebacken», sagte Rosa glücklich. Sie war eine fabelhafte Köchin und hatte gern, wenn man es anerkannte. Besonders in Gulasch und Napfkuchen war sie unerreicht. Sie war nicht umsonst eine Böhmin.

Ich blickte mich um. Da saßen sie rings um den Tisch, die Arbeiterinnen im Weinberge Gottes, die untrüglichen Menschenkennerinnen, die Soldaten der Liebe – Wally, die Schöne, der man neulich bei einer nächtlichen Autofahrt den Weißfuchs gestohlen hatte; – Lina mit dem Holzbein, die immer noch Liebhaber fand; – Fritzi, das Luder, die den plattfüßigen Alois liebte, obschon sie längst eine eigene Wohnung hätte haben können und einen Freund, der sie aushielt; – Margot mit den roten Backen, die immer in Dienstmädchentracht ging und damit elegante Freier fing; – Marion, die jüngste, strahlend und unbedenklich; – Kiki, der als Mann nicht mitzählte, weil er Frauenkleider trug und geschminkt war; – Mimi, das arme Biest, dem das Laufen mit seinen fünfundvierzig Jahren und den Krampfadern immer schwerer fiel; – ein paar Barfrauen und Tischdamen, die ich nicht kannte; – und endlich, als zweiter Ehrengast, klein, grau und verschrumpelt wie ein Winterapfel, Muttchen, die Vertraute aller, Trost und Stütze nächtlicher Wanderer, Muttchen mit dem Wurstkessel von der Ecke Nikolaistraße, fliegendes Büfett und Wechselbüro nachts, die neben ihren Frankfurter Würstchen auch noch heimlich Zigaretten und Gummiartikel verkaufte und angepumpt werden konnte.

Ich wusste, was sich schickte. Kein Wort von Geschäft, keine unzarte Andeutung heute – vergessen die wunderbare Leistung Rosas, die ihr den Beinamen das «Eiserne Pferd» eingetragen hatte; – vergessen Fritzis Unterhaltungen mit dem Viehhändler Stefan Grigoleit über die Liebe; – vergessen Kikis Tänze um den Salzbrezelkorb im Morgengrauen. Die Unterhaltung hier konnte jedem Damenkränzchen Ehre machen.


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Дата добавления: 2015-09-15; просмотров: 80; Мы поможем в написании вашей работы!; Нарушение авторских прав





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