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Ich sah sie an. Sie erschien mir wie aus einer andern Welt. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was sie war und wie sie lebte.
1 Die Bar war sicherer Boden für mich (надежная почва). Fred, der Mixer (бармен), stand hinter der Theke (за стойкой) und polierte gerade die großen Schwenkgläser (коньячная рюмка /суживающаяся к верху/: das Schwenkglas; schwenken – махать, размахивать; кружить, вертеть) für Kognak, als wir hereinkamen. Er begrüßte mich, als sähe er mich zum erstenmal und hätte mich nicht vor zwei Tagen noch nach Hause bringen müssen. Er hatte eine gute Schule und eine riesige Erfahrung hinter sich (огромный опыт за плечами; der Riese – великан). 2 Der Raum war leer bis auf einen Tisch (помещение было пусто, кроме, за исключением одного стола). Dort saß, wie fast immer, Valentin Hauser. Ich kannte ihn vom Kriege her; wir waren in derselben Kompanie gewesen (в одной: «в той же самой» роте). Er hatte mir einmal durchs Sperrfeuer сквозь заградительный огонь; sperren – загораживать, преграждать, блокировать) einen Brief nach vorne gebracht (на передовую: «вперед»), weil er dachte, er wäre von meiner Mutter. Er wusste, dass ich darauf wartete, denn meine Mutter war operiert worden. Aber er hatte sich geirrt (ошибся: sich irren – заблуждаться; irren – блуждать) – es war nur eine Reklame für Kopfschützer aus Brenn-Nesselstoff gewesen (реклама подшлемников из крапивной ткани; schützen – охранять; die Brenn-Nessel – крапива; der Stoff – материал). Auf dem Rückwege (на обратном пути) hatte er einen Schuss (выстрел; schießen – стрелять) ins Bein bekommen. 3 Valentin hatte einige Zeit nach dem Kriege eine Erbschaft gemacht (получил наследство; erben – наследовать). Die vertrank er seitdem (пропивал с тех пор: vertrinken). Er behauptete (утверждал, заявлял), das Glück feiern zu müssen (что должен праздновать то счастье, ту удачу), lebend herausgekommen zu sein (что вышел живым из этого). Es war ihm gleich, dass das schon eine Anzahl Jahre her war (что это уже было довольно давно: «уже некоторое число лет назад»). Er erklärte (заявлял), man könne es gar nicht genug feiern. Er war einer der Menschen, die ein unheimliches Gedächtnis (ужасно крепкую память; unheimlich – жуткий) für den Krieg haben. Wir andern hatten vieles vergessen; er aber erinnerte sich an jeden Tag und jede Stunde. 4 Ich sah, dass er schon viel getrunken hatte: Er saß ganz versunken (погружен в себя; versinken – погружаться, тонуть) und abwesend (отсутствующий = ото всего отрешенный) in seiner Ecke. Ich hob die Hand. «Salü, Valentin!» 5 Er blickte auf und nickte. «Salü, Robby!» 6 Wir setzten uns in eine Ecke. Der Mixer kam. «Was möchten Sie trinken?» fragte ich das Mädchen. 7 «Vielleicht einen Martini», erwiderte sie. «Einen trockenen Martini.» 8 «Darin ist Fred Spezialist.» 9 Fred erlaubte sich ein Lächeln (позволил себе улыбку). «Mir wie immer», sagte ich. Die Bar war kühl und halbdunkel. Sie roch nach vergossenem Gin (пах пролитым джином: riechen; vergießen; gießen – лить) und Kognak. Es war ein würziger Geruch (пряный, терпкий запах; die Würze – пряность, приправа), wie nach Wacholder (словно можжевельником: der Wacholder) und Brot. Von der Decke (с потолка) hing das holzgeschnitzte Modell (вырезанная из дерева модель: das Holz – древесина; schnitzen – резать, вырезать по дереву) eines Segelschiffs (парусника: das Segel + das Schiff – корабль) herab (свисала: herabhängen). Die Wand hinter der Theke war mit Kupfer beschlagen (обита медью: das Kupfer). Das gedämpfte Licht eines Leuchters (приглушенный свет светильника, лампы) warf rote Reflexe hinein, als spiegele sich dort ein unterirdisches Feuer (словно там отражался подземный огонь). Von den kleinen, schmiedeeisernen Wandarmen (из кованых бра: schmieden – ковать + eisern – железный; das Eisen – железо) brannten nur zwei – einer bei Valentin und einer bei uns. Sie hatten gelbe Pergamentschirme, die aus alten Landkarten gemacht waren, und sahen aus wie schmale, erleuchtete Ausschnitte der Welt (как узкие, подсвеченные кусочки, фрагменты мира; ausschneiden – вырезать; der Ausschnitt – вырезка /газетная/; отрывок /текста/). 10 Ich war etwas verlegen (несколько смущен) und wusste nicht recht, wie ich ein Gespräch anfangen sollte. Ich kannte das Mädchen ja überhaupt nicht, und je länger ich es ansah (чем дольше я на нее смотрел), um so fremder erschien es mir (тем более чужой, чуждой, необычной она мне казалась, передо мной представала: jemandem erscheinen – представляться кому либо; erscheinen – появляться, показываться). Es war lange her (прошло уже много времени с тех пор), dass ich mit jemand so zusammen gewesen war; ich hatte keine Übung mehr darin (не было больше навыка в этом = отвык, потерял навык; üben – упражнять). Ich hatte mehr Übung im Umgang mit Männern (в общении с мужчинами; mit jemandem umgehen– обращаться, обходиться с кем-либо; общаться; der Umgang – общение, знакомство). Vorhin (до этого), im Café, war es mir zu laut gewesen – jetzt, hier, war es plötzlich zu ruhig. Jedes Wort bekam durch die Stille des Raumes so viel Gewicht (так много веса: das Gewicht; wiegen – весить), dass es schwer war, unbefangen (непринужденно) zu reden. Fast wünschte ich mich schon wieder ins Café zurück. 11 Fred brachte die Gläser. Wir tranken. Der Rum war stark und frisch. Er schmeckte nach Sonne. Er war etwas, woran man sich halten konnte (за что можно было ухватиться: «держаться»). Ich trank und gab das Glas Fred gleich wieder mit. 12 «Gefällt es Ihnen hier?» fragte ich. 13 Das Mädchen nickte. 14 «Besser als in der Konditorei drüben?» 15 «Ich hasse Konditoreien (ненавижу)», sagte sie. 16 «Weshalb haben wir uns dann gerade da getroffen?» fragte ich verblüfft. 17 «Ich weiß nicht.» Sie nahm ihre Kappe ab (сняла шапочку). «Mir fiel nichts anderes ein (не пришло в голову ничего другого; einfallen – приходить в голову /об идее/).» 18 «Um so besser, dass es Ihnen dann hier gefällt. Wir sind oft hier. Abends ist diese Bude für uns schon fast so eine Art Zuhause (что-то вроде /родного/ дома).» 19 Sie lachte. «Ist das nicht eigentlich traurig?» 20 «Nein», sagte ich, «zeitgemäß (в духе времени, соответствует /нашему/ времени, современно).» 21 Fred brachte mir das zweite Glas. Er legte eine grüne Havanna dazu auf den Tisch. «Von Herrn Hauser.» 22 Valentin winkte aus seiner Ecke herüber und hob sein Glas. 23 «31. Juli 17, Robby», sagte er mit schwerer Stimme. 24 Ich nickte ihm zu und hob ebenfalls mein Glas. 25 Er musste immer jemand zutrinken (с кем-нибудь выпить, выпить, обращаясь к кому-либо); ich hatte ihn abends schon getroffen, wie er dem Mond oder einem Fliederbusch (обращаясь к кусту сирени: der Flieder – сирень + der Busch – куст) in einer Bauernkneipe (в сельском трактире; der Bauer – крестьянин) zutrank. Dann erinnerte er sich an irgendeinen Tag aus den Schützengräben (из окопной жизни: der Schutzgraben – окоп: der Schutz – защита + der Graben – ров, окоп, канава; graben – копать), wo es besonders schwer zugegangen war (когда особенно тяжело приходилось; сравни: es ging lustig zu – было весело), und war dankbar dafür, dass er noch da war und so sitzen konnte. 26 «Er ist mein Freund», sagte ich zu dem Mädchen. «Ein Kamerad aus dem Kriege. Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der aus einem großen Unglück ein kleines Glück gemacht hat. Er weiß nicht mehr, was er mit seinem Leben anfangen soll (что ему начать = что ему делать с со своей жизнью) – deshalb freut er sich einfach, dass er noch lebt.» 27 Sie sah mich nachdenklich an (задумчиво; nachdenken über etwas – раздумывать, думать о чем-либо). Ein Streifen Licht fiel schräg über ihre Stirn (полоска света упала наискось через ее лоб: der Streifen; streifen – проводить /например, рукой/, касаться, задевать) und ihren Mund. «Das kann ich gut verstehen», sagte sie. 28 Ich blickte auf. «Das sollten Sie aber nicht. Dafür sind Sie viel zu jung.» 29 Sie lächelte. Es war ein leichtes, schwebendes Lächeln (легкая, «парящая» = мимолетная улыбка: schweben – парить, плыть в воздухе), das nur in den Augen war. Das Gesicht veränderte sich kaum dabei( лицо при этом не изменилось); es wurde nur heller, von innen heraus heller (изнутри светлее). «Zu jung», sagte sie, «das ist so ein Wort. Ich finde, zu jung ist man nie. Nur immer zu alt.» 30 Ich schwieg einen Augenblick. «Dagegen ließe sich eine Menge sagen (против этого можно было бы много чего возразить: die Menge – количество, масса)», erwiderte ich dann und machte Fred ein Zeichen (знак), mir noch etwas zu trinken zu bringen. Das Mädchen war so sicher und selbstverständlich (держалась столь уверенно и естественно: selbstverständlich – само собой разумеется); ich fühlte mich wie ein Holzblock dagegen (как чурбан: das Holz – древесина + der Block – чурбан, колода). Ich hätte gern ein leichtes, spielerisches Gespräch geführt, so ein richtiges Gespräch, wie es einem gewöhnlich hinterher einfällt, wenn man wieder allein ist. Lenz konnte das; bei mir aber wurde es immer gleich ungeschickt (сразу неловко, неуклюже) und schwer. Gottfried behauptete nicht mit Unrecht («не несправедливо» = вполне справедливо: das Unrecht – несправедливость) von mir, als Unterhalter (как собеседник, как развлекающий; unterhalten – поддерживать /например, разговор/; sich unterhalten – беседовать; развлекаться) stände ich ungefähr auf der Stufe eines Postsekretärs (примерно на ступени, на уровне почтового чиновника). 31 Zum Glück war Fred vernünftig (разумен = сообразителен; die Vernunft – разум). Er brachte mir statt der kleinen Fingerhüte (вместо наперстков: der Finger – палец + der Hut – шляпа) jetzt gleich ein anständiges Weinglas (приличную рюмку; der Anstand – приличие) voll heran. So brauchte er nicht immer hin und her zu laufen, und es fiel auch nicht so auf, wie viel ich trank. Ich musste trinken; anders konnte ich diese stockige Schwere nicht loswerden (избавиться от этой деревянной, связывающей меня тяжести; stocken – приостанавливаться /о работе, переговорах/; запинаться /о речи/; der Stock – палка). 32 «Wollen Sie nicht noch einen Martini nehmen?» fragte ich das Mädchen. 33 «Was trinken Sie denn da?» 34 «Das hier ist Rum.» 35 Sie betrachtete mein Glas (осмотрела; betrachten – осматривать, созерцать). «Das haben Sie neulich (недавно, давеча) auch schon getrunken.» 36 «Ja», sagte ich, «das trinke ich meistens (в основном, обычно: «по большей части»).» 37 Sie schüttelte den Kopf. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass das schmeckt.» 38 «Ob es schmeckt, weiß ich schon gar nicht mehr.» 39 Sie sah mich an. «Weshalb trinken Sie es denn?» 40 «Rum», sagte ich, froh, etwas gefunden zu haben, über das ich reden konnte. «Rum hat mit Schmecken nicht viel zu tun (вкус тут, в общем-то, не при чем: mit etwas zu tun haben – быть связанным с чем-либо, иметь отношение к чему-либо). Er ist nicht so einfach ein Getränk (напиток: das Getränk) – er ist schon mehr ein Freund. Ein Freund, der alles leichter macht. Er verändert die Welt. Und deshalb trinkt man ja» – Ich schob das Glas beiseite (отодвинул в сторону; schieben – двигать, толкать). «Aber soll ich Ihnen nicht noch einen Martini bestellen?» 41 «Lieber einen Rum», sagte sie. «Ich möchte ihn auch mal versuchen (попробовать).» 42 «Gut», erwiderte ich, «aber nicht diesen. Der ist für den Anfang zu schwer. Bring einen Baccardi-Cocktail», rief ich zu Fred hinüber. 43 Fred brachte die Gläser. Er setzte auch eine Schale mit Salzmandeln und schwarzgebrannten Kaffeebohnen dazu (блюдо с соленым миндалем и жаренными кофейными зернами; die Bohne – боб; фасоль; die Bohnen – кофейные зерна). «Lass meine Flasche nur gleich hier stehen», sagte ich.
Die Bar war sicherer Boden für mich. Fred, der Mixer, stand hinter der Theke und polierte gerade die großen Schwenkgläser für Kognak, als wir hereinkamen. Er begrüßte mich, als sähe er mich zum erstenmal und hätte mich nicht vor zwei Tagen noch nach Hause bringen müssen. Er hatte eine gute Schule und eine riesige Erfahrung hinter sich. Der Raum war leer bis auf einen Tisch. Dort saß, wie fast immer, Valentin Hauser. Ich kannte ihn vom Kriege her; wir waren in derselben Kompanie gewesen. Er hatte mir einmal durchs Sperrfeuer einen Brief nach vorne gebracht, weil er dachte, er wäre von meiner Mutter. Er wusste, dass ich darauf wartete, denn meine Mutter war operiert worden. Aber er hatte sich geirrt – es war nur eine Reklame für Kopfschützer aus Brenn-Nesselstoff gewesen. Auf dem Rückwege hatte er einen Schuss ins Bein bekommen. Valentin hatte einige Zeit nach dem Kriege eine Erbschaft gemacht. Die vertrank er seitdem. Er behauptete, das Glück feiern zu müssen, lebend herausgekommen zu sein. Es war ihm gleich, dass das schon eine Anzahl Jahre her war. Er erklärte, man könne es gar nicht genug feiern. Er war einer der Menschen, die ein unheimliches Gedächtnis für den Krieg haben. Wir andern hatten vieles vergessen; er aber erinnerte sich an jeden Tag und jede Stunde. 4 Ich sah, dass er schon viel getrunken hatte: Er saß ganz versunken und abwesend in seiner Ecke. Ich hob die Hand. «Salü, Valentin!» 5 Er blickte auf und nickte. «Salü, Robby!»
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